Tim Sebastian: "Es ist unheimlich Dampf in die Sache gekommen"

Mit 30 Jahren ist Tim Sebastian so etwas wie der „Methusalem“ in der jungen Mannschaft von RB Leipzig. Der Innenverteidiger hat sich zu Bundesligazeiten Duelle mit Franck Ribery, Luca Toni und Miroslav Klose geliefert. Mit seiner Erfahrung ist der Abwehrspieler eine wichtige Säule beim Durchmarsch der Sachsen gewesen. Im Interview mit liga2-online.de sprach Tim Sebastian über seine sportliche Jugendzeit, verpasste Aufstiege und seinen Status als „Musterprofi“.

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liga2-online.de Herr Sebastian, zuerst noch einmal herzlichen Glückwunsch zum Aufstieg. Wie haben Sie Ihren Urlaub verbracht?

Tim Sebastian: Zum ersten Mal seit der Schulzeit hatte ich fünf Wochen Urlaub am Stück. Das habe ich natürlich genossen. Mit meiner Frau und den Kindern war ich zunächst in der Türkei und habe Aktivurlaub betrieben. Dann habe ich noch meine Eltern auf Usedom besucht. Zum Glück hat das Wetter super mitgespielt. Insgesamt habe ich in den fünf Wochen einiges nachgeholt, was in den letzten Jahren auf der Strecke geblieben ist.

Und eine neue Frisur (Glatze Anm. d. Red.) haben Sie sich in der Sommerpause auch zugelegt…

(lacht) Ja, das ist meine neue Kampffrisur. Bei den wenigen Fusseln, die ich noch auf dem Kopf hatte, hat sich die Kahlrasur geradezu angeboten.

Im Kindesalter haben Sie Judo ausgeübt, ehe Sie zur Leichtathletik gewechselt sind. Hier konnten Sie im Alter von 10 Jahren sogar einen Landesrekord im Weitsprung aufstellen. Wieso hat es Sie trotz der Erfolge zum Fußball verschlagen?

Judo habe ich nur drei Jahre gemacht, das hat mir dann nicht mehr gefallen. Die Grundlagen kommen mir aber heute noch zugute, wenn es um Abrollbewegungen oder andere motorische Fähigkeiten geht. Leichtathletik und Fußball habe ich dann später parallel ausgeübt, so im Zeitraum 4. bis 6. Schulklasse. Leichtathletik hat mir immer viel Spaß gemacht, aber in der Gruppe zu kicken, fand ich noch besser. Auf dem Hinterhof oder auf der Wiese, wir waren jeden Tag mit dem Ball unterwegs. Zudem war Fußball im Alltag immer präsenter als Leichtathletik. Schon damals gab es diese Paninialben mit den Stickern, die meine Freunde und ich alle fleißig gesammelt haben. Und natürlich hatten wir alle irgendwie den Traum Fußballprofi zu werden, weshalb ich schließlich auch beim Fußball hängen geblieben bin.

Über die Stationen Motor Wolgast, Greifswalder SC, Hansa Rostock, Karlsruher SC und erneut Hansa Rostock, sind Sie im Sommer 2010 zu RB Leipzig gewechselt. Von der zweiten in die vierte Liga und zu einem Verein, der nicht überall auf Gegenliebe stößt. Mussten Sie sich in Ihrem Umfeld für den Wechsel rechtfertigen?

Persönliche Entscheidungen muss man letztendlich nur vor sich selber rechtfertigen und nicht vor seinem Umfeld. Natürlich war das damals auf den ersten Blick ein Schritt zurück. Das ist vollkommen klar. Aber ich wusste schon damals – und das hat sich mittlerweile auch bewahrheitet – dass der Weg mit diesem Verein nach oben gehen wird. Insofern hat es vielleicht ein bis zwei Jahre länger gedauert, aber diese Zeit brauchten wir rückblickend auch einfach. Vor allem am Anfang war es schwierig, etwas auf die Beine zu stellen. Aber in den letzten zwei Jahren ist unheimlich Dampf in die Sache gekommen.

In Ihren ersten beiden Spielzeiten in Leipzig wurde der anvisierte Aufstieg in Liga 3 jeweils verpasst. Was waren Ihrer Ansicht nach die Hauptgründe dafür?

Im ersten Jahr gab es mit Chemnitz eine unglaublich starke Mannschaft, die über 80 Punkte geholt hat. Die waren unglaublich gefestigt. Selbst wenn wir als Truppe funktioniert hätten, wäre es wahnsinnig schwer geworden. Zudem musste Tomas Oral damals 15 oder 16 Neuzugänge integrieren. Da war eigentlich von vornerein klar, dass es schwer wird, eine homogene Truppe auf die Beine zu stellen. Unter Peter Pacult im Jahr darauf war es sehr knapp gewesen. Es gab lange Zeit einen Dreikampf zwischen Halle, Kiel und uns. Die Entscheidung ist dann am vorletzten Spieltag gefallen als wir im Heimspiel gegen Wolfsburg II kurz vor Schluss einen Nackenschlag bekommen haben.

Kamen Ihnen danach Zweifel, ob der Wechsel nach Leipzig der richtige Schritt war?

Nein, Zweifel hatte ich keine. Natürlich waren wir nach den verpassten Aufstiegen alle niedergeschlagen und auch traurig, dass es nicht geklappt hat Vor allem nach der Saison 2011/12, in der es so knapp war. Aber es wird nicht umsonst vom „Nadelöhr Regionalliga“ gesprochen. Und das ist mittlerweile noch schlimmer geworden ist, weil der Tabellenerste zusätzlich eine Relegation spielen muss. Da erwischt es jedes Jahr drei Mannschaften, die eine super Saison gespielt haben. Diese Regelung muss meiner Ansicht nach schleunigst überdacht werden.

Das sind für Sie die Hauptgründe wieso sich mit Zorniger die Erfolge einstellten, die unter Oral und Pacult noch ausgeblieben sind?

Zum einen sind auch jetzt noch einige Spieler dabei, die schon 2010 hier waren wie zum Beispiel Daniel Frahn, Benny Bellot oder Fabian Franke. Wir brauchten einfach eine gewisse Zeit, um uns als Mannschaft zu finden. Zudem haben wir unter Zorniger ein Spielsystem entwickelt, was wir vorher nicht hatten. Wir spielen unglaublich laufintensiv, mit Pressing und wollen den Gegner überrumpeln. Das ist für viele Mannschaften schwierig zu verteidigen. Insgesamt sind es mehrere Faktoren, die den Erfolg ausmachen.

Neuzugänge bei RB Leipzig wie jüngst Terrence Boyd berichten immer wieder, dass sie noch nie zuvor in ihrer Karriere so hart trainiert hätten wie in Leipzig. Können Sie das bestätigen?

Das kann ich so nicht unterschreiben. Sicherlich trainieren wir unter Zorniger hart, von nichts kommt auch nichts. Aber unter anderen Trainern habe ich auch schon hart trainiert. Und Terrence soll froh sein, dass er noch nie bei Felix Magath trainiert hat (lacht). Ich persönlich habe es auch noch nicht erlebt, aber was man von anderen Spielern so erfährt, soll das nicht zu toppen sein.

Wie würden Sie Ihre Spielweise als Innenverteidiger charakterisieren?

Die Anforderungen an den Innenverteidiger sind ja andere als an einen Stürmer. Ich muss zweikampfstark sein, kopfballstark sein, eine vernünftige Spieleröffnung haben. Ich denke schon, dass all diese Punkte auch auf mich zutreffen. Zudem fühle ich mich auch mit 30 noch spritzig und würde die Schnelligkeit zu meinen Stärken zählen.

Ihr damaliger Jugendtrainer bei Hansa Rostock, Thomas Finck, hat behauptet „egal ob in der Schule oder im Fußball: Tim ist für sein Alter überall viel weiter als die anderen“.  Für Zorniger sind Sie der „Musterprofi schlechthin“. Was machen Sie anders als Ihre Kollegen?

Ich lebe bewusst, achte auf bestimme Sachen wie Ernährung und Schlaf – auf eine professionelle Lebensweise einfach. Aber wenn man das so aufzieht, haben wir viele Musterprofis in der Mannschaft.  Aber darauf werden wir auch von vielen professionellen Helfern im Verein hingewiesen. Sicherlich spielt auch die Erfahrung eine gewisse Rolle. Mit 19, 20 Jahren habe ich auch noch die ein oder andere Sache anders gemacht. Zum Beispiel einen Tag vorm Spiel in der Stadt unterwegs zu sein und in die Disco zu gehen. Das macht man ab einem gewissen Alter nicht mehr, auch weil man besser um die Bedeutung der Öffentlichkeit weiß.

Gab es vergangene Saison einen Schlüsselmoment in dem euch klar war: „Den Aufstieg lassen wir uns jetzt nicht mehr nehmen“?

Im Laufe der Saison hatte sich herauskristallisiert, dass es sich zwischen Heidenheim, Darmstadt und uns entscheiden wird. Heidenheim war dann quasi weg und Darmstadt hing wie eine Klette an uns dran. Aber das war auch ein Stück weit gut für unsere Leistung, weil wir wussten, dass wir in jedem Spiel ein Topniveau erreichen müssen, um am Ende vor Darmstadt zu sein. Als wir dann zu Hause im direkten Duell gegen Darmstadt gewonnen hatten, war das schon eine Art Schlüsselmoment. Danach war uns allen klar, dass wir kurz davor sind.

Wie muss die kommende Zweitligasaison verlaufen, damit sie für euch als Mannschaft und für Sie persönlich als erfolgreich bezeichnet werden kann?

Für die Mannschaft leg ich mich auf keine Zielstellung fest. Das ist auch schwierig, weil wir Aufsteiger sind. So abgedroschen es auch klingt, aber wir wollen sehen was in jedem Spiel drin ist und das Maximale herausholen. Persönlich will ich natürlich so viele Spiele wie möglich absolvieren und gewinnen. Wir haben einen großen Konkurrenzruck in der Mannschaft. Alle Positionen sind doppelt, wenn nicht sogar dreifach besetzt. Aber diese Situation tat uns auch schon in den vergangen zwei Jahren gut, weil sich keiner ausruhen konnte und von der Bank immer nachgeladen werden konnte. Das war ein großer Trumpf von uns. Zudem würde ich mir wünschen, dass ich bei Standardsituationen das ein oder andere Tor mehr erziele. Das wäre diese Saison endlich mal dran.

Ihre Teamkollegen Poulsen und Khedira sind Jahrgang 94, Kimmich und Palacios Jahrgang 95. Müssen Sie da beim Blick auf die eigene Geburtsurkunde nicht schlucken?

Ich habe neulich schon in der Kabine gesagt: Wenn der erste 2000er Jahrgang dabei ist, hör ich auf (lacht). Das ist schon hart, wenn man sieht, dass 11 oder 12, teilweise sogar 13 Jahre Altersunterschied da sind. Aber das macht mich in gewisser Weise auch stolz, dass ich mittlerweile so lange dabei bin und es körperlich problemlos mit den jungen Leuten aufnehmen kann.

Zum Abschluss einen Blick in die Glaskugel: Sie haben bisher 58 Spiele in der ersten Bundesliga bestritten. Wie viele werden es am Ende Ihre Karriere sein?

Jetzt stehen 58 da und es werden in den nächsten Monaten auch keine weiteren dazukommen. Von daher ist das alles noch ganz weit weg.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

FOTO: GEPA Pictures

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