Gegen Heidenheim erlebt der VfB Stuttgart sein „blaues Wunder“

Der 19. Mai 2007 ist für einige Menschen ein besonderes Datum. An diesem Tag feierte der VfB Stuttgart nach einem 2:1 Erfolg über Energie Cottbus die deutsche Meisterschaft. Zum gleichen Zeitpunkt spielten die Heidenheimer in der Oberliga Baden-Württemberg den 32. Spieltag bei der Zweitvertretung des SC Freiburg. 90 Zuschauer verfolgten diese Partie. Auf dem Platz standen Frank Schmidt, Christian Gmünder und Alexander Raaf. Allesamt sind nun im Trainerteam des 1. FC Heidenheim zu finden. Bei Heimspielen lag der Zuschauerschnitt bei etwa 1.000. Seit diesem Datum besuchten die Stuttgarter das beschauliche Heidenheim einzig für Testspiele, oder waren Gast für die Saisoneröffnungsfeier des 1. FCH. Am 09. September 2016 kreuzte sich der Weg der beiden Vereine zum ersten Kräftemessen im Ligabetrieb. Der VfB als Bundesligaabsteiger und auf der anderen Seite der FCH, der erst in seine dritte Zweitligasaison geht. Die Rollen waren bei diesem Aufeinandertreffen so klar verteilt, wie es über die gesamte Geschichte hinweg schon der Fall gewesen ist. Doch dieser geschichtsträchtige Freitagabend sollte für alle Beteiligten einige Überraschungen bereit halten.

Heidenheims Vorfreude auf das Spiel

Der ganze Hype um das Spiel gegen den großen Nachbarn aus der Landeshauptstadt ging schon Wochen vor dem eigentlichen Spiel los. Für die Fahrt in die Landeshauptstadt wurde erstmals ein Sonderzug organisiert. 700 Tickets gingen in den Verkauf. Innerhalb weniger Tage waren sämtliche Tickets vergriffen. In Heidenheim redete man nur noch von dem Spiel gegen den VfB Stuttgart. Unter dem Motto „Alle in blau nach Stuttgart“ machte sich der Sonderzug gegen 13:30 Uhr auf den Weg gen Landeshauptstadt. Über Ulm kam der Zug nach etwas mehr als zwei Stunden Fahrtzeit am Bahnhof in Untertürkheim an. Wie gewohnt wartete die Polizei direkt am Bahnhof und begleitete den Heidenheimer Stadionmarsch, welcher ohne Zwischenfälle verlief. Der Tross geriet nur zum Stehen, wenn sich die Fans, trotz der sommerlichen Temperaturen von knapp 30°C, für das Stadion warm sangen und hüpften.

Heidenheim überzeugt auf den Rängen und auf dem Platz

Um 16:15 Uhr erblickten die Sonderzugfahrer die Mercedes-Benz Arena. Die Stadiontore öffneten sich um 17 Uhr, dementsprechend war der Gästeblock bereits früh sehr gut gefüllt. Bis zum Anpfiff sollten sich 4.000 blaugekleidete Heidenheimer dort einfinden und auch auf den anderen Tribünen konnten zahlreiche blaue Shirts und Trikots wahrgenommen werden. Die Dunkelziffer der FCH-Anhänger, wird somit um einiges höher gelegen haben, als die offizielle Anzahl von 4.000 Reisenden. Was definitiv gesagt werden kann, ist die beeindruckende Zuschauerzahl von 52.200, die erwartungsfroh dem Anpfiff entgegenfieberten. Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus pfiff die Partie dann mit einer Minute Verspätung an. Die Stimmung bei beiden Fanlagern war ausgezeichnet und auch die beiden Mannschaften verzichteten gleich auf eine lange Abtastungsphase und sorgten damit für einen schwungvollen Auftakt. Nach nur fünf Minuten brachen die Stuttgarter über die linke Seite durch. Christian Gentner bediente Jean Zimmer, der jedoch freistehend aus elf Metern zu viel Rückenlage bekam und den Ball über das Tor schoss. Erstes Durchatmen für Alle, die es mit den Heidenheimer hielten, die sich keineswegs wie die Maus vor der Schlange versteckten, sondern mutig und gefällig mitspielten und direkt die passende Antwort parat hatten. Nach einem Eckball flog der Ball vor die Füße von Kevin Kraus, der sofort den Abschluss suchte, aber aus wenigen Metern noch Emiliano Insua geblockt werden konnte (6.). In der Folge sah man die Stuttgarter mit deutlich mehr Ballbesitz, aber es fehlte dennoch an allen Ecken und Enden. Die Innenverteidigung um Toni Sunjic und Stephen Sama war total verunsichert. Aus dem Mittelfeld kamen von Gentner kaum Impulse. Tobias Werner und Zimmer konnten über die Außen auch keine Akzente setzen und Folgerichtig hing auch Stürmer Simon Terodde völlig in der Luft. Einzig auffällige Aktion des Neuzugangs aus Bochum gelang ihm kurz vor dem Halbzeitpfiff als er eine flache Hereingabe mit der Hacke verwerten wollte, dieser Versuch wurde geblockt und Kevin Müller schnappte sich den Ball. Die deutlich besseren Chancen verbuchte der FCH. Kapitän Marc Schnatterer wurde schön freigespielt und drang in den Strafraum ein. Sein leicht abgefälschter Schuss landete im Außennetz (16.). Auch Tim Kleindienst kam aus ähnlicher Position zum Abschluss. Jedoch war sein Versuch zu schwach und konnte von Mitchell Langerak pariert werden (26.). Direkt vor dem Pausenpfiff ergab sich für den FCH ein Freistoß aus 20 Metern Torentfernung. Kapitän Schnatterer nahm sich der Sache an, scheiterte aber zuerst an der Mauer und den folgenden Nachschuss setzte er knapp neben das Tor.

HDH

Wechselbad der Gefühle

Unverändert begann der zweite Spielabschnitt, sowohl was die personelle Situation anging, als auch das Geschehen auf dem Platz. Die Heidenheimer zeigten weiterhin eine couragierte Leistung, standen hinten sehr sicher und schalteten auch immer wieder sehr schnell und zielstrebig nach vorne um. Aber auch im zweiten Spielabschnitt gehörte den Hausherren die erste Chance. Terodde kam am langen Pfosten etwas überraschend an den Ball, aber traf mit seinem Abschluss nur das Außennetz. Das erste Mal entwickelte sich das Stadion zu einem echten Hexenkessel in der 62. Minute. Grund war jedoch nicht ein Tor des VfB, sondern es stand die Einwechslung von Alexandru Maxim bevor. Dieser ersetzte, den über weite Strecken blass gebliebenen Zimmer. Erstmals auffällig wurde Maxim, als er noch mit Schiedsrichterin Steinhaus diskutierte, als diese, einen Freistoß am Mittelkreis für die Gäste pfiff. Dieser wurde schnell auf Robert Strauß ausgeführt. Die Stuttgarter Mannschaft war völlig ungeordnet. Strauß bediente auf rechts Schnatterer, der eine scharfe Flanke in die Mitte zog. Dort verpasste zwar noch Kleindienst, aber dahinter stand John Verhoek völlig frei und köpfte den Ball wuchtig gegen die Laufrichtung von Langerak ins Tor (69.). Die Stimmung im Gästeblock explodierte. Einer möglicher Sieg gegen den VfB Stuttgart war nun kein Traum mehr, sondern war greifbar nahe. Die Stuttgarter Fans waren sichtlich geschockt, doch das Team zeigte umgehend die richtige Reaktion. Ausgangspunkt war eine Maxim-Ecke, die er perfekt vor das Tor brachte und wo dann Sunjic zum viel umjubelten Ausgleich einköpfen konnte (72.). Trainer Schmidt reagierte und brachte Eigengewächs Tim Skarke für den australischen Nationalspieler Ben Halloran. Auch VfB-Coach Jos Luhukay reagierte und brachte den zweiten Publikumsliebling neben Maxim, Weltmeister Kevin Großkreutz ersetzte Werner. Damit ging ein weiterer Ruck durch das gesamte Stadion und die VfB-Anhänger feierten die Einwechslung wie den Führungstreffer. Dieser fiel dann in der 76. Spielminute, aber nicht wie vermutet für die Stuttgarter. Über links schickte Kleindienst Skarke auf die Reise. Sunjic verpasste zuvor den Ball und sah anschließend nur noch die Hacken von Skarke. Da in der Mitte auch Sama nicht den Eindruck machte irgendwie eingreifen zu wollen, marschierte der erst 20-jährige Skarke mit viel Tempo in den Strafraum. Überaus kaltschnäuzig schaute er sich Langerak aus und zirkelte den Ball vorbei am australischen Nationaltorhüter ins lange Eck.

Party in blau

Im Stadion wurde es still, nur noch der Gästeblock sorgte für Stimmung und feierte jeden gewonnen Zweikampf und jeden geklärten Ball, wie einen eigenen Torerfolg. Dem VfB lief die Zeit davon, aber bekam noch einmal zwei dicke Chancen zum Ausgleich. In der 89. Minute war es wieder Sunjic, der den Ausgleich auf dem Kopf hatte. Doch dieses Mal parierte Müller den Ball aus fünf Metern Entfernung sensationell. Während Sunjic sich noch über die vergebene Chance ärgerte, lief die Szene weiter. Der Ball kam noch einmal von außen in die Mitte und landete wieder bei Sunjic. Mit dem Fuß schloss er ab, aber Strauß stand auf der Linie goldrichtig und konnte den Ball blocken. Das einzige was man an diesem Tag aus Heidenheimer Sicht bemängeln könnte, ist die Tatsache, dass die sehr guten Kontermöglichkeiten gegen Spielende nicht konsequent genug zu Ende gespielt wurden und somit endgültig der Deckel auf die Partie gesetzt wurde. Doch all dies spielte nach dem Abpfiff keine Rolle mehr. Der FCH hatte es tatsächlich geschafft. Mit einer unglaublich überzeugenden Vorstellung gelang gegen den VfB Stuttgart ein 2:1 Erfolg, welcher keineswegs glücklich, sondern am Ende verdient war, da die Stuttgarter über die gesamten 90 Minuten kein Mittel fanden, um die Heidenheimer ernsthaft in Verlegenheit zu bringen. Während sich die Spieler in den weißen Trikots die Pfiffe ihrer eigenen Anhänger abholten, wurde auf der Gegenseite ausgiebig gefeiert. Die Mannschaft des FCH verabschiedete sich in die Kabine, aber die Spieler kamen direkt wieder heraus geeilt und verlängerten die Party auf dem Rasen um ein paar Minuten, während sich das Stadion bereits merklich geleert hatte. Auf dem Rückweg zum Bahnhof erblickte man einige ungläubige Gesichter, die diesen Erfolg noch gar nicht richtig realisieren konnten. Bei einigen Personen könnte dieser Zustand auch noch einige Tage anhalten, die den Heidenheimer Weg schon seit Landesliga- und Verbandsligazeiten begleiten und nun sich über drei wichtige und überraschende Punkte am vierten Spieltag der zweiten Bundesliga beim VfB Stuttgart freuen können.

Das könnte Sie auch interessieren

Auch interessant

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"